Montag, 28. Februar 2011

Auf der Suche

Die meisten Menschen sind auf der Suche nach etwas, was sie längst haben, aber die wenigsten bemerken ihre Blindheit rechtzeitig, denn es kommt nicht selten vor, daß man bei dieserart Suchen das Gesuchte ganz nebenbei verliert. Mit etwas Glück findet man es jedoch eines Tages wieder – wenn man längst nach etwas anderem sucht. Nicht immer aber erkennt man das Gefundene als das früher Gesuchte wieder, noch weniger identifiziert man es als einstmals Besessenes, denn man ist zu sehr hingerissen vom Gesuchten des Augenblicks.

Freitag, 25. Februar 2011

Vom Wert der Werte

Was die Werte unserer Gesellschaft, von denen sonntags in großer Rede schwadroniert wird, tatsächlich wert sind, wird im Zusammenhang mit dem neuen Film der Regisseurin Merkel Der Plagiator geradezu bedrückend deutlich: nichts. Viele haben jedoch schon länger geahnt: Koch, Kohl, Guttenberg – in diesem Land ist eine neue politische Leitkultur entstanden, die sich ganz offen nicht mehr um tradierte Tugenden schert. Der Wertkörper der politischen Richtung, die das Etikett konservativ um den Hals hängen hat, ist für jeden sichtbar ausgehöhlt, so daß der traditionelle Konservatismus, der auch vorher größtenteils ohnehin nur schöner Schein war, nun vollends erledigt ist. Die Aschewolke allerdings wird uns noch lange beschäftigen.

Dienstag, 22. Februar 2011

Auf den Punkt

Wer allzu viele Schwerpunkte hat, der wird nicht selten für zu leicht befunden, wenn er – was ihm infolge der Fülle schwerfällt – etwas auf den Punkt zu bringen versucht.

Freitag, 18. Februar 2011

Erdmann – Szenische Monodialoge 9*


ERDMANN verknittert, verläßt das Schlafzimmer, geht zum PC und startet ihn, dann begibt er sich ins Bad.


Na ja wie Ken
sehe ich nicht gerade aus
aber was soll's 
ich bin keine Kunstfigur
und kein Doktor Laude
trotzdem in summa 
zufrieden in meiner Haut
auch wenn's manchmal
etwas spannt


in der Haut von dem 
Dr. (ruhend) Theodor Plagiatus möchte ich 
nicht stecken
dem wird jetzt nicht nur auf die
Finger geguckt sondern richtig
unter die Nägel
das tut weh


was soll der machen
das Ding ist gedruckt
sein Name steht drunter
meins meins
und jetzt wird es
auseinandergenommen
soll er jetzt sagen
was wahrscheinlich stimmte:
Das ist alles fair bezahlt
verzapft hat's ein andrer
geht nicht wäre noch schlimmer
denn der Name
steht drunter
ja der falsche Name ...


In seiner Haut möcht ich nicht
stecken 


Und wenn dann hätte ich
wenigstens zum Schluß
Korrektur gelesen
und die Fehler
minimiert


Genützt hätte das
aber auch nichts
weil es nicht
die eigenen 
gewesen wären


Und der akademische Prüfer
steckt mit im Dilemma
ganz tief drin


wenigstens ist der bereits
emeritiert


dafür ist der forsche Theo
jedoch noch
ein wenig zu jung
und noch
kein Professor


Dumm am Laufen
das Ganze


Verläßt das Bad, hört ein Summen


Diese blöde Kiste.
Hat sich beim Runterfahren
gestern abend wieder aufgehängt
die ganze Nacht gelaufen
bei den Strompreisen
oder hab ich Trottel im Vorschlaf
nur wieder vergessen
das Ding auszuschalten?


Setzt sich kopfschüttelnd
an seinen Arbeitsplatz.


* Bitte anklicken für Kommentar.

Mittwoch, 16. Februar 2011

"Verfassung und Verfassungsvertrag"

Ganz unabhängig vom Plagiatsvorwurf scheint mir bei der Dissertation des Herrn Guttenberg auch sprachlich mehr Kupfer denn Gold verwendet worden zu sein. Zwei Seiten habe ich gesehen, das Vorwort: 

"... dem von Konrad Hesse geprägtem Vorbild ..." (Vorwort, S. 6). Dem geprägtem Vorbild. Na ja, in dem schwierigem Grammatikkosmos mit seinem niedrigem Räumen kann man sich leicht dem Kopf stoßen. 

"Nicht nur die spezielle Bezeichnung des mit der Ausarbeitung des Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa befassten Gremiums ..." (S. 16) Wie unelegant, so überaus viele Genitive in einem Satz, und dann fehlt auch noch das Genitiv-s. Ganz schlechter Stil: Das Schreiben des mit dem Schreiben eines Schreiben(s) über das Schreiben befaßten Schreibers ... 

Und so was wird summacumlaudet statt ausgemustert. Der Wissenschaftsbetrieb ist mir manchmal rätselhaft.
 

Doktortitel

Wer im Urlaub am Strand die πολιτεία im Original liest, der braucht keinen Doktortitel, um sich wohl zu fühlen.

Guttenberg
Empfehlung: Radiergummi

Krieg

Der Krieg ist der Hymnus des Lebens an den Tod. Immer wieder gern gesungen. Noch lieber: singen gelassen.

Gewachsen sein

Wir sind uns selbst nicht gewachsen – vor allem intellektuell.

Form und Plastizität

Als Ideal: Jeden Satz schreiben, als müsse er für die Ewigkeit stehen.

Negativer Nebeneffekt solcherart gußeiserner Artikulation ist das statisch Abgekühlte, die Verharschung des Geschriebenen. Hier wird vorgeführt: die Geburt der Dogmatik aus dem Geiste des Idealismus, denn wer möchte schon an der Ewigkeit kratzen, gar an der eigenen. Dem Eitlen ein Greuel. Aber nichts außer der Ewigkeit ist ewig (und auch die nur vielleicht), das sollte klar sein, und wir tun gut daran, unsere kleinen Wörterwürmer nicht zu überschätzen. Sie haben, so kein Feuer ins Spiel kommt, bestenfalls die Halbwertszeit von Plastiktüten.

Bemühen um plastischen Ausdruck sollte dennoch selbstverständlich sein, und gerade das Wissen um die formwiderstrebende Plastizität alles Geschaffenen und damit die Endlichkeit aller Form sollte uns besonders anspornen.
 
Plastizität ist kein Ergebnis, kein Endprodukt, sondern für mich grundsätzlich die Kraft, die in der Natur wirkend die Evolution antreibt, was wir Menschen durch Mimesis zu ergänzen oder gar zu ersetzen trachten. Dabei sollten wir uns des Prozeßcharakters des Ganzen bewußt sein, was uns davon abhalten kann, unsere Kraft an Denkmälern (und der „Satz für die Ewigkeit“ ist eine Art Denkmal) für was auch immer zu verschwenden. Wenn der Bau von Denkmälern überhandnimmt, beginnt das Leben zu veröden.
 
In der Natur trägt die zur Form geronnene Plastizität den Keim ihrer Auflösung in sich und die Fähigkeit zur Formwandlung. Das sollten wir nicht durch die Erfindung immer neuer Betonsorten zu konterkarieren trachten.
 
Warum nicht die Form ebenso bejahen wie ihre Fähigkeit, sich zu wandeln oder aufzulösen? Ich sehe da keinen künstlich erzeugten Widerspruch, allenfalls eine grundlegende Paradoxie allen Seins.
 
Man kann sich natürlich auch hinlegen und warten, bis es vorbei ist.

Dienstag, 15. Februar 2011

Anbiederungsseuche

Wollte man großzügig und milde sein, dann käme man zu dem Schluß, die Worte des großen Thomas Bernhard seien so bezwingend, daß sie die Sprache eines jeden okkupierten, der sich beschreibend seinem Werk nähert. Doch wenn man, ganz im bernhardschen Sinne, weniger naiv und rücksichtsvoll ist, dann fällt auf, es ist wie eine Seuche: So ziemlich jeder, der über Bernhard schreibt, beginnt nach kurzer Zeit, sich mit einer dezenten Imitation des repetetiven Duktus anzubiedern, den wir von dem verhinderten Nebenerwerbslandwirt aus Oberösterreich kennen. Und überall kullern die "naturgemäß" aus den Sprachschablonen, daß es nur so kracht. Und selbst dort, wo es augenzwinkernd geschieht, bleibt ein fader Geschmack nach kumpelhaftem Getue und eitler Selbsterhöhung. Gräßlich.

Bescheidene Illumination

Atem der Katakomben
von innen kommt das Leuchten
aus fernen Tiefen

der Tage müdes Grauen
Augen tränen Morgenlicht

Ontologische Ironie

Das Paradoxe am Leben ist, daß es im Menschen die Voraussetzung schafft, den Gedanken an eine Freiheit des Seins zu entwickeln, die dem Leben nicht innewohnt, ja, die es beständig durch ironische Kommentare des eigenen Körpers und die Lebensäußerungen der anderen ins Lächerliche zieht.

Epikurs Mahnung

Zählt Geld
lauft in Reihen
wer Trommler mag
nur zu
laßt die
Steine erbeben
wie im
siebentorigen Theben.
Das Ende ist Schrift
auf dem Sarkophag.

Im Blitzlicht beim
letzten Sekundenschlag
da werdet ihr
schaudernd verschweben
so narrt euch
der Tod mit
dem Leben.
Am Abend blinkt
in den Spiegeln
der Tag.

Und die ihre Sinne
mit Hämmern betäubt
die gaffen nun
stumpf in die
Leere der Nacht
mit zitternder Hand
und die Haare
gesträubt.

Und wehe
dem Wesen
das jetzt
erst erwacht
zu spät
sein Beginnen
die Hülle zerstäubt
sein Weg führt
zurück in die
ewige Schlacht.

Duchamps langer Atem

Muß man nicht die Frage stellen, ob das Werkzeug der versuchten Destruktion in der Kunst denselben Charakter haben kann wie etwas, was Objekt dieser Destruktion ist, und ob das Destruktionsmittel nicht seinerseits Objekt von Destruktion sein kann, ja sein sollte? Andererseits ist es dann aber auch so, daß der Vorgang der Destruktion durch die Reibung der Objekte gleichsam Kunstcharakter entwickelt. Und so fort. Permanente Ästhetisierung der Destruktion des ästhetischen Scheins. Und ganz nebenbei eine Verschmelzung dieses Scheins mit massenpsychologischen Aspekten. Destrukunst.

Welt online

Phistologie

Faust und MeFistopheles. Ist es nun nur ein ungewöhnlicher Zufall oder ein weiteres Indiz für die ohnehin naheliegendeThese, daß die Figur des Mephistopheles in Goethes Dichtung im wesentlichen ein Teil der multiplen Persönlichkeit Fausts ist – meine Tochter erwähnte bei einem Gespräch über Goethes Figuren beiläufig, Faust heiße im Englischen "fist". Das war mir zwar bekannt, jedoch bisher hatte ich das im Zusammenhang mit dem "Faust" nicht beachtet. Was bei Hesse Narziß und Goldmund, zwei Aspekte einer Persönlichkeit, sind bei Goethe Faust und Mephistopheles; bei Hesse namensverschieden, aber bei Goethe ist die Nähe auch in den Namen präsent. Man sollte die Herkunft des Doktor Faustus klären: Vielleicht hatte der geheimnisumwitterte Schwabe Johann Georg Faust englische Vorfahren mit Namen Phist. In jedem Falle ist der Tofel überall dabei.