Sehr geehrter Herr Dr. Bartsch,
wie Sie wissen, ist dies nicht der erste Brief, den ich Ihnen in Sachen „Stadthotel“ schreibe, und da ich von Ihnen bisher keine schriftliche Antwort auf meine Schreiben bekommen habe, betrachte ich den heutigen Brief als einen offenen.
Sie selbst halten sich ja mit offenen Bekenntnissen („Klares Votum für das Hotel“, „ohne Wenn und Aber für Neubau“ oder auch „Stadthotel Brilon, davon profitieren alle!“) nicht etwa zurück, sondern rühren in einer Mischung aus Baumarktreklame und Realsatire (brilon-totallokal) fleißig und „unmissverständlich“ die Werbetrommel für den Investor/die Investorin.
Zur Geschichte: Als ich im Jahre 2011 nach vierzig Jahren Großstadtleben wohlüberlegt, wie mir schien, die grüne Stadt Berlin verließ, um mein Elternhaus in Brilon zu übernehmen, statt es, wie viele erwartet hatten, zu verkaufen, ahnte ich noch nicht, dass mein Garten hinter dem Haus zukünftig nicht mehr, wie bisher, an andere Gärten angrenzen würde, sondern an Gewerbegebiet. So die Planung. Wie hätte ich auch ahnen können, dass man in Brilon aus den Bausünden der sechziger/siebziger Jahre nichts gelernt hat.
Nun bin ich also hier, habe das Haus mit (für mich) viel Geld auf Vordermann gebracht und hatte die Absicht, in meinem großzügigen Arbeitszimmer mit Gartenblick ruhig meine beruflichen Aufgaben zu erfüllen und nach Feierabend im eigenen Grün zu entspannen und dem Vogelgezwitscher zuzuhören und den Bäumen beim Rauschen.
Und nun erfahre ich, dass laut Planung demnächst nicht mehr Vogelgezwitscher zu hören sein wird, sondern Staubsaugergedröhn und spätnächtliches bzw. frühmorgendliches Lieferantenscheppern, Brummen der diversen Lüftungsanlagen und möglicherweise noch das Geklappere einer Restaurantküche. Als würde es nicht reichen, dass vor dem Haus durch die enge Obere Mauer ein Großteil des Briloner Verkehrs durchgeleitet wird, so dass man kaum ein Fenster zum Lüften öffnen kann – von erholsamem Schlaf ganz zu schweigen.
Normales Leben, wo man am Gartenzaun mit den Nachbarn plaudert, scheint mir in der Briloner Innenstadt selten geworden zu sein, so selten wie die Stadtgärten, denn sobald irgendwo ein Haus abgerissen wird, dem früher meistens ein Garten angegliedert war, entsteht nicht nur auf der Fläche des Hauses etwas Neues, nämlich ein Parkplatz, sondern der Garten geht mit drauf.
So auch hier: Das Erste, was der Investor mit den erworbenen Grundstücken getan hat, noch bevor der Abriss der Häuser begann: Er ließ alle vorhandenen Bäume und Sträucher beseitigen. Anschließend wurden die Häuser ohne Ankündigung von Seiten des Abbruchunternehmens und auch von Seiten der Stadt (es gab doch sicher eine Abbruchgenehmigung) trotz starker Staubentwicklung ohne einen Tropfen Wasser abgerissen. Dabei wurde mein Haus beschädigt und der Schaden trotz eindeutiger Zusage bis heute nicht beseitigt.
Das erwähne ich nur, weil auch dadurch die Rücksichtslosigkeit des Investors deutlich wird, der im Bauausschuss und auch anläßlich der Bürgerversammlung als eine Art Wohltäter der Stadt Brilon gefeiert wird. Im Bauausschuss fiel für dessen Verhalten gar das Wort „sensationell“. Dass die Anwohner das Ganze möglicherweise weniger euphorisch bewerten, interessierte im Bauausschuss nicht weiter.
Nun soll allen Ernstes dort, wo früher kleine Häuser mit Gärten gestanden haben, ohne Rücksicht auf Verluste eine völlig überdimensionierte Klamotte von Hotel hingeklotzt werden, die sich nicht nur nicht in die Umgebung einfügt, sondern der Gegend als Wohngegend den Rest gibt. Und wozu das Ganze? Weil in Brilon angeblich Hotelbetten fehlen, vor allem, wie im Bauausschuss und in der Bürgerversammlung zu hören war, „wenn mal ein ganzer Bus Gäste untergebracht werden soll“. Das Hauptargument für ein Hotel dieser Größe! Interessanterweise wurde beinahe im gleichen Atemzug auf den Einwand eines Anwohners bezüglich der Verkehrssituation gesagt: „Nach Aussage des Investors kommt ja kein Bus.“
So beginnen Schildbürgerstreiche: mit solchen die Vernunft beleidigenden Paralogismen.
Inzwischen ist, nachdem die Planung verschlimmbessert wurde, die Baugenehmigung erteilt, und Sie tun in der Öffentlichkeit so, als wäre dabei alles mit rechten Dingen zugegangen. Wer sich die Pläne genauer anschaut, dem schießen Assoziationen eines Schulzentrums oder eines Krankenhauses ins Bewusstsein, oder man denkt, wenn man sich die Fenster mit Gitterstäben versehen vorstellt … vielleicht ein moderner Gefängnisbau?
Nach Ihrer Aussage jedoch wird sich das „Gebäude derart einfügen in die Umgebungsbebauung, dass es für alle verträglich ist“. Also so ähnlich wie etwa die große Briloner Touristenattraktion, das Sparkassengebäude am Marktplatz.
Sie sagen leerformelhaft: „Bedenken sind natürlich ernst zu nehmen“, ohne ein weiteres Wort über diese Bedenken zu verlieren. Stattdessen lange Rede des Herrn Dülme über angebliche Vorteile: … „viele Gäste, die in Brilon ihr Geld ausgeben … Arbeitsplätze … heimische Wirtschaft profitiert … Gastronomie, Einzelhandel, Dienstleister“.
Niedergang der kleineren Hotels? Ach nein, das sagen Sie nicht: „Davon profitieren alle!“ Ach ja? Und die Anwohner, die sich überaus zahlreich in einer Unterschriftenliste gegen das Projekt in dieser überdimensionierten Form ausgesprochen hatten?
Die übliche Definition von „alle“ scheint in Brilon etwas vom semantisch Korrekten abzuweichen und die nicht direkt wirtschaftlich Interessierten auszuschließen.
Als die „alten Buden“, wie der Investor die Wohnhäuser nennt, abgerissen wurden, waren die Mieter, die dort teilweise jahrzehntelang gewohnt hatten, natürlich nicht mehr drin, sondern vorher vertrieben worden. Das war der erste Teil von „alle“. Halten wir fest: Preiswerter Wohnraum wurde vernichtet. Die vor die Tür gesetzten Mieter waren die Ersten, die nicht profitiert haben.
Nun sagen Sie, Herr Dr. Bartsch, bei Ihrem Votum für das Hotel drohend: „Wenn dort kein Hotel hinkommt, dann etwas anderes. Und das werden sicher keine Einfamilienhäuser sein.“ Das wäre auch zu absonderlich, geradezu komisch: Wohnhäuser in einem Wohngebiet. Wie unpassend.
Vielleicht Flüchtlingsunterkünfte?
Sie, Herr Bürgermeister, nehmen die „Bedenken der Anwohner“ so „ernst“, dass Sie polemisch formulieren: „In der Innenstadt zu wohnen und ohne Verkehr auszukommen, widerspricht sich in der heutigen Zeit.“ Mal abgesehen davon, ob sich das tatsächlich widerspricht und die Innenstadt ohne Autoverkehr nicht vielmehr die Realität der morgigen Zeit sein wird, es geht hier nicht darum, „ohne Verkehr“ auszukommen, sondern durch vernünftige Planung zu verhindern, dass sich die bereits jetzt unerträgliche Verkehrssituation mit täglich Tausenden von Fahrzeugen besonders in der Oberen Mauer noch weiter verschärft.
Ach ja, dass die Stadtverwaltung das Ganze auch als Prestigeobjekt „im Hinblick auf die Internationalen Hansetage“ betrachtet, ist klar. Klar ist aber auch, was aus solchen Objekten häufig wird, wenn die besonderen Tage vorbei sind, wie man beispielhaft bei diversen Olympischen Spielen sehen kann. Vieles kommt herunter, weil für den Alltagsgebrauch zu groß geplant.
(Ausnahmsweise in neuer Rechtschreibung.)
Poe im November
-
Er hat am 14. November 1848 in Stonington die Fähre nach New York bestiegen
und schreibt der reichen Witwe, der Dichterin Sarah Helen Whitman, noch
schnel...
vor 2 Tagen